Benders – Niederländischer Schriftsteller, Dichter & Philosoph

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Der silberne Schornstein des Yücel

Posted on März 28, 2025März 28, 2025 by admin

Dieser Artikel basiert auf diesem niederländischen Artikel von Martinus Benders.

Die silberne Schornstein von Yücel

Heute setzen wir mit dem großen türkischen Dichter Can Yücel fort:

An die Schöne

Letzte Nacht lagen wir allein,
allein mit deiner winzig kleinen Hand,
allein mit deiner winzig kleinen Hand
und der Einsamkeit,
so lebhaft wie die Grundschule von Kandilli.
Wenn die Glocken in deinen Träumen läuten,
stehen alle Klassentüren weit offen –
die gerechten Klassen von Luft, Meer, Erde, Traum und Arbeit.

Vielleicht hatte er aus Angst vor einem Überfall –
treulos, in den Fluss geworfen –
über Marx, über silberne Fische gelernt,
aus eben denselben Büchern,
und vielleicht ist deshalb alles hier so voll Licht…

Du, meine Schöne,
die keine Blumen pflückt, sondern Blumen gießt –
und ich, mager und verschrumpelt,
bin nun ein alter Mann,
aber bei dir war ich so schön,
schöner noch als Blumen.

Und ich verstand,
ich verstand:
Selbst in seinen Träumen
kann die Arbeit das Werk der Träume nicht sehen.

*

Die Grundschule von Kandilli (Kandilli İlkokulu) verweist auf eine Grundschule im Stadtteil Kandilli in Istanbul. Kandilli ist ein historischer, charmanter und kulturell reicher Teil der Stadt, gelegen an der asiatischen Uferseite des Bosporus. Es ist bekannt für seine alten Häuser, schmalen Straßen, Meeresblick und — wichtig für den Kontext des Gedichtes — eine fast dörfliche Atmosphäre mitten in der Metropole.

*

Brief an meinen Freund Samaripa

Schau doch, Samaripa,
dieser silberne Schornstein!
Wie wunderschön hat er das Blech
zu Spitze geschnitten!
Und die Sonne scheint darauf…

Sein Bart hängt in Trauben herunter,
der Rauch weht aus
wie ein Dachrand im Wind,
und dahinter bedeckt er
die Kiefern des Priesterkollegs.

Kein Schornstein ist das –
ein Weihrauchfass!

Und unten, im Wasser,
das dieser Rauch erwärmt,
badet ein Mädchen,
geschmeidig wie Kaugummi,
ihre Hüften rollen weg im Schaum
wie die Insel Chios…

Lieber Freund,
ich hatte so große Lust,
dich wiederzusehen,
dein Duft hängt mir in der Nase…

Oh ja, das wollte ich noch fragen:
Hast du je Lohuk gegessen?
Ich mag Süßes überhaupt nicht,
aber dieses Zeug –
es ist köstlich!

*

Lohuk ist eine traditionelle türkische Süßigkeit, weich und geleeartig, oft mit Nüssen oder Zuckersirup.

Chios ist eine griechische Insel in der Ägäis, berühmt für ihre Mastixbäume, aber in der Vorstellung der Antike vor allem auch verbunden mit Klarheit, Licht, Meerschaum und Sinnlichkeit. Laut einigen mythologischen Quellen verdankt Chios sogar seinen Namen Chione (der Schnee), Tochter des Nordwinds Boreas, was Assoziationen mit Frische und reiner Haut hervorruft. In einer alternativen Mythologie ist Chios der Ort, an dem der Gott Dionysos mit wilden Festen geehrt wurde — Bacchanalien voller Wein, Musik und körperlicher Ekstase.

Wenn Yücel schreibt, dass die Hüften sich „rollen im Schaum wie Chios“, ruft er zugleich ein Bild einer Insel hervor, die sich träge in der Brandung sonnt, und des weiblichen Körpers als eine Landschaft — wellenförmig, weich, einladend. Der Schaum ist dabei nicht nur ein realistisches Detail des Badewassers, sondern spiegelt auch den Schaum wider, aus dem, laut Hesiod, Aphrodite geboren wurde. Damit lädt Yücel das Bild unbewusst oder bewusst mit mythischer Erotik auf: die Geburt der Schönheit selbst.

Die Bildsprache ist leicht-erotisch, aber niemals vulgär. Sie balanciert zwischen Humor, Sehnsucht und Bewunderung. Gerade durch den Vergleich mit einer Insel — etwas, das zugleich unantastbar und körperlich formbar erscheint — erreicht Yücel eine subtile Tiefe, in der Begehren und poetische Vorstellungskraft zusammenfließen.

*

Meine Tochter Mavi entwickelt sich zu einem echten Bücherwurm, obwohl ich keinerlei Druck auf sie ausgeübt habe. Neunen und Zehnen in der Schule, aber nicht, weil sie so übereifrig ist — und der Unterricht dort ist wirklich ein ganzes Stück anspruchsvoller als hier, sie lesen dort mit 13 schon Kafka, stell dir das mal vor. Nein, meine Idee war immer, dass, wenn man als Eltern nicht ständig alles auf seine Kinder projiziert, sie Energie übrig behalten, die sie sonst im ständigen Kampf gegen diese seltsamen Projektionen verlieren würden. Darüber hinaus versuche ich, ihren Intellekt ab und zu zu stimulieren, indem ich mit ihr über Poesie, Philosophie oder Politik spreche. Jetzt, wo ich meinen Blog auch auf Türkisch habe, sagte sie wow, du hast mich wirklich zum Nachdenken über das ‚Demonstrieren‘ gebracht. Sie geht am Samstag in dem kleinen Ort, in dem sie wohnt, demonstrieren, hoffentlich geht es dort etwas gemütlicher zu.

Ab und zu habe ich ihr aber Lion’s Mane gegeben, was ein wundersamer Pilz ist, der sehr gut für das Gehirn ist. Nicht, dass das unbedingt die Ursache ihrer Klugheit ist, aber vielleicht hat es eine kleine Rolle gespielt. Die größte Rolle spielt sie doch echt selbst.

*

Ein Haus zu verkaufen erweist sich als komplizierterer Prozess, als ich mir zuvor vorgestellt hatte. Das lag auch daran, dass ich beim Katasteramt vorzugsweise zwei Erbschaftserklärungen ein- und austragen musste, und danach mich selbst, was mich beim Notar 750 Euro kosten durfte.

In diesen Monaten beißen wir also ein bisschen auf Holz.

*

Dieses bronzene Skulptur erdachte Leonardo Flowstate zu meinem heutigen Post.

Category: Literarisches Tagebuch

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Deutsche Bücher

„Eine Mottenoper auf Deutsch, basierend auf meinem Gedichtband Baah Baaah Krakschaap / Das F der Winterschlaf.“


In diesem Band zeige ich mich von meiner experimentellsten Seite – die Texte bewegen sich zwischen Lautpoesie, absurdem Theater und schlafwandlerischer Symbolik. Die Mottenoper baut darauf auf: ein musikalisch-dichterisches Gewebe aus Flügelschlägen, Traumprotokollen und klanggewordenen Metamorphosen.

Sie ist keine Oper im traditionellen Sinne, sondern ein Zeremoniell des Verpuppens und Entpuppens – das F steht hier nicht nur für „Fabel“ oder „Finsternis“, sondern auch für „Flackern“, „Fantasie“ und „Flucht“.

Gemeinsam mit meinen Kompliz:innen erforsche ich in diesem Werk die Grenzen zwischen Sprache, Klang und Verwandlung – ein Projekt, das sich der linearen Logik entzieht und stattdessen der Logik des Lichts folgt, wie es von Motten geträumt wird.

Ich habe außerdem eine Neue-Welle-/New-Wave-Formation, die Lieder mit deutschen Texten macht: The Stoss. The Stoss besteht aus Martijn Benders, Veronique Hogervorst und Dieter Adam. Unser Debütalbum heißt Höllenhelle Eisenbahn und ist in voller Länge auf Spotify zu hören.

Dieter hat (zusammen mit Martijn Benders) auch ein Soloalbum gemacht, um zu zeigen, dass großartige Poesie und deutsche Musik Hand in Hand gehen können.
Das poetische Glanzstück „Oh Schwulfürst von Schlüpferland“ sorgt derzeit für Furore in der internationalen Musikwelt.

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