Der spektrale Diskurs im Nebel der Realität: Eine Kritik zu „Die Möglichkeit von Glück“ von Peter Licht
Die neueste literarisch-philosophische Unternehmung des Autors und Musikers Peter Licht, betitelt „Die Möglichkeit von Glück“ (erschienen bei Klett-Cotta im Jahre 2023), ist ein Werk, das sich gezielt gegen die Verflachung des Denkens und die gegenwärtige Entzauberung des Lebens durch marktwirtschaftlich zementierte Rationalität auflehnt. In diffusem Licht veröffentlicht, in jenen Nachwehen einer Zeit globalen diffusen Schmerzes, erhebt dieses Werk Anspruch darauf, ein glühender Reflexionskern im Ascheregen der Gegenwart zu sein. Es ist notwendig, dieses Werk nicht als simplen Roman oder Text, sondern als eigentümlich metaphysischen Akt des Widerstehens zu begreifen — ein Manifest der Alltagsmetaphysik im Zeitalter algorithmischer Weltaneignung.
Das Werk präsentiert sich zunächst als das Tagebuch eines Angestellten – ein archaisch anmutender Begriff, dessen bloße Verwendung bereits eine ironische Kommentierung enthält –, der sich durch seinen Büroalltag bewegt und in dessen meditativen Beobachtungen und gedanklichen Abweichungen sich ein metaphysisches Glückspotential offenbart, das mit karger Melancholie in der Sprache der Post-Postmoderne artikuliert wird. Seine Umgebung ist durchtränkt von kapitalistisch gesteuerten Rhythmen, deren repetitive Aspirationen auf Produktivität vom Protagonisten mit zunehmend melancholischem Erstaunen erfasst werden. Das Glück, von dem die Rede ist, stellt kein erlangbares Ziel, sondern ein poetisches Phantom dar, das in Zwischenräumen, im leeren Raum zwischen zwei Terminen, im Lichtspiel auf den Eierschalen des Frühstücks oder in der Erinnerung an imaginäre Zukünfte aufscheint.
Peter Licht bemächtigt sich einer Sprache, die gleichermaßen Alltagsbanalität und lyrische Erkenntnis oszillieren lässt. In ihrer Struktur erinnert sie an ein bewusst säumiges Flanieren, an das Unnützwerden der Eile. Jeder Satz scheint sich seiner eigenen Fraglichkeit bewusst zu sein, jeder Gedankengang ist ein leiser Sabotageakt gegen die Totalität des Funktionierens. Der Autor lässt seine Sprache nicht marschieren – sie zirkuliert, taumelt zuweilen, bricht aus, versinkt in Parenthesen. In der Form verwebt er kurze, szenische Skizzen, Reflexionen, Dialogfragmente sowie rezitativhafte Manifeste über das Wesen des Glücks. Den Aufbau des Romans durchzieht keine dramatische Handlung im klassischen Sinne – vielmehr fungiert die Struktur wie eine Komposition aus Klangwellen des Denkens, die sich asymptotisch dem Unnennbaren annähern. Die große Stärke dieses Buches liegt somit nicht im Plot, sondern in seiner Struktur als Erfahrungsraum des Lesens selbst.
Die Rezeption des Buches in den literarischen Sphären der Bundesrepublik war zunächst von einer Mischung aus Begeisterung und intellektueller Irritation geprägt. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wurde Licht als „Sänger der Resignation mit Hoffnungsschatten“ bezeichnet, und man attestierte ihm das Kunststück, mit einfachsten Mitteln die metaphysische Bedürftigkeit des modernen Menschen offenzulegen. Demgegenüber bemängelte die „Süddeutsche Zeitung“ die kontemplative Verschleppung des Textes, eine Art Depression in Zeitlupe, der es an narrativer Spannung mangele. In literarsoziologischen Diskussionsräumen wie dem Literaturforum im Brecht-Haus jedoch wurde das Buch als „letztes Zucken der romanhaften Lebensbeschreibung“ gelobt, die sich weigert, bloß affirmatives Erzählen zu betreiben. Es wurde und wird hitzig diskutiert: Ist dies Literatur im klassischen Sinne, oder vielmehr eine hybride Performance von Philosophie und Autobiographie im Kleid des Romans? Diese Unschärfe – oder besser, diese spektrale Mehrfachcodierung – ist zweifellos ein bewusst gesetzter Hermetik-Riegel, ein Widerstand gegen blitzlichtartige Lesbarkeit.
Thematisch lassen sich Parallelen ziehen zu den Arbeiten von Judith Schalansky oder Helene Hegemann – Autorinnen, die sich dem Verlust der Sinnsysteme im Spätkapitalismus widmen und dennoch ästhetische Figuren des Widerstands entwerfen. Auch Arno Geiger mit „Unter der Drachenwand“ oder Christoph Ransmayr mit „Cox oder Der Lauf der Zeit“ bedienen sich einer doppelten Bewegung zwischen Faktum und Fiktion, zwischen Welt und Imagination. Doch Peter Lichts Werk stellt keine Erzählung aus, sondern eine Denkbewegung: ein Überführen der literarischen Handlung in das Reflektieren über Handlungsmöglichkeit. Es ist, um es mit Hans Blumenberg zu formulieren, ein Versuch, die „Lebenswelt zur Sprache zu bringen unter Bedingungen ihrer totalen Technisierung“¹.
Besonders hervorzuheben ist Lichts Fähigkeit, in scheinbar belanglosen Details ein transzendentes Moment aufleuchten zu lassen. Wenn etwa der Protagonist mit einem Kollegen Kaffee trinkt, und dabei über die Möglichkeit einer Alternativwelt sinniert, in der man als „Gedankentransporteure“ statt als „Datenverwalter“ bezahlt würde, offenbart dies mehr über das gegenwärtige Unbehagen an entfremdeter Arbeitswelt als so manche soziologische Studie. Der Autor erreicht hier das, was Cioran als „philosophische Lyrik“ bezeichnet: ein Paradoxon, das sich durch seine Stille auflädt².
Doch trotz aller Stärken soll nicht verschwiegen werden, dass das Buch auch Schwächen besitzt. Seine Kompromisslosigkeit gegenüber Konventionen des klassisch narrativen Schreibens macht es zu einem schwer zugänglichen Werk. Die repetitive Struktur, das häufig ungerichtete mäandrierende Denken, das mal als poetisches Stilmittel, mal als Verteidigung gegen Begriffszwänge dient, kann Leserinnen und Leser ermüden. In den philosophischen Einsprengseln des Textes vermisst man manchmal argumentativen Ernst; zuweilen gleitet das Fragmenthafte in bloße Assoziationslyrik ab. Diese Undurchdringlichkeit mag einerseits als Kunstgriff der Entautomatisierung des Lesens verstanden werden, andererseits droht sie, das Werk in eine ästhetische Selbstgenügsamkeit abgleiten zu lassen, die die intendierte Kritik an der gesellschaftlichen Struktur dadurch erträglicher macht – und somit neutralisiert³.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die politische Vagheit des Werkes. Obwohl es mehrere Male auf die Notwendigkeit verweist, „anders zu leben“, bleibt fraglich, wie dieses Andere konkret aussehen soll. Ist das Glück, das hier beschworen wird, bloßer Eskapismus? Eine innerlich behauptete Freiheit im Angesicht äußerer Unfreiheit? Und reproduziert ein solcher Ansatz nicht gerade jene introspektive Selbstbefriedung bürgerlicher Selbstvergewisserung, gegen die sich das Werk an anderer Stelle zu stemmen scheint?
Dennoch: Im Ganzen überwiegt die Qualität des Buches in seiner Funktion als diskursives Artefakt einer spätmodernen Daseinsform. Es ist ein Werk, das seine Leser nicht erklärt, sondern sie in existenzialistische Schwebezustände versetzt. Wie bei einem musikalischen Werk bleibt der Nachhall wichtiger als die Partitur. Es scheint, als wolle das Buch uns nicht zu einem Glück führen, das konventionell definiert ist, sondern zu einer Haltung der Erwartungslosigkeit gegenüber Glück – eine Annäherung an jenes „Negative Glück“, in dem schon Schopenhauer den wahren Trost des Denkens erkannte⁴.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Die Möglichkeit von Glück“ ein bedeutendes Beispiel für die literarische Auseinandersetzung mit der Conditio humana unter Bedingungen moderner Arbeits- und Konsumgesellschaften ist. Peter Licht gelingt es, in einer Zeit der Überproduktion von Sinnbildern ein leises, persistentes Vibrieren zu erzeugen: eine Spiritualität der Leere, die nicht vertröstet, sondern aufruft zur gedanklichen Beharrlichkeit. In einer Epoche, in der das Glück als Konsumprodukt daherkommt, fungiert sein Buch als paradoxe Mahnung: Dass wahres Glück vielleicht gar nicht existiert – und genau darin seine tiefste Möglichkeitsform birgt.
By Martijn Benders – Philosophy Dep. of the Moonmoth Monestarium
melancholie, literaturkritik, kapitalismuskritik, glück, metaphysik, sprachphilosophie, alltagsphänomenologie
1 Vgl. Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1981, S. 97.
2 Vgl. Emil Cioran: Vom Nachteil, geboren zu sein. München: dtv, 1990, S. 63.
3 Vgl. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Frankfurt: Suhrkamp, 1970, S. 132f.
4 Vgl. Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung I. Leipzig: Brockhaus, 1819, §58.