Dieser Artikel basiert auf diesem niederländischen Artikel von Martinus Benders. https://martijnbenders.substack.com/p/de-taal-van-de-macht-van-de-bullshit
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Gestern sah ich eine beunruhigende Nachricht, die Pieter Omtzigt auf X postete. Ich schrieb daraufhin diese Antwort:
‚Als Europäer müssen wir wieder die Sprache der Macht lernen‘. Kann jemand diesen verstaubten Beamten mit ihren kindischen Superheldenphantasien den Marsch blasen? Du bist mit diesem Müll aufgewachsen, aber du bist ein farbloser Mitläufer.‘
Das fasst, denke ich, das Kernproblem zusammen, nämlich dass diese ‚harte Rede‘ eine Form der Psychose ist, die aus dem Aufwachsen in einem Superhelden-Narrativ hervorgeht, während man in Wirklichkeit einen Bullshit-Job hat und eine farblose Figur ist, die obendrein auch noch alle dasselbe farblose Outfit tragen, um auch das noch zu betonen.
Solche Psychosen sind natürlich lebensgefährlich, denn diese Menschen können uns ohne weiteres in einen Weltkrieg führen.
Es gibt übrigens nur eine ‚Sprache der Macht‘, meine Herren, und das ist die Sprache des Faschismus. Und die ist verdammt nah, wenn die Polizei schon bei Demonstrationen vor der Tür steht.
Und dies ist genau der Grund, warum wir diese Sprache nicht lernen, sondern radikal verlernen sollten — aus Prinzip, im Namen allen Lebens. Denn wer sich die Sprache der Macht aneignet, verliert erst seinen Mut, dann sein Gespür und letztlich seine Menschlichkeit. Der ’starke Staatsmann‘, der mit angespanntem Kiefer über unsere Sicherheit doziert, ist kein Held, sondern ein Schauspieler in einem schlecht geschriebenen Katastrophenfilm, dessen Preis wir später zahlen werden — mit unseren Körpern, unseren Kindern, unseren Städten voller ungeborener Gedichte.
Denn was diese Farblosen in ihren steifen Anzügen nicht begreifen, ist, dass Macht niemals eine Sprache war, sondern die Abwesenheit von Sprache. Macht ist Schweigen, Unterdrücken, Befehlen ohne Antworten zu dulden. Und deshalb müssen wir gerade die Sprache der Antwort weiterhin sprechen, der Widerspruch, des Eifers, der Poesie. Gegen ihre glatte Leere stellen wir die vollmundigen Sätze des Lebens. Gegen ihre ‚Realpolitik‘ die raue Realität von Bomben auf Köpfen, von Flüchtlingen an Küsten, von Vätern in Kisten.
Wer die Sprache der Macht lernt, vergisst die Sprache der Mutter — und das ist die älteste, sanfteste und letztlich auch mächtigste Sprache, die es gibt. Die einzige Sprache, in der wirklich etwas wächst.
Also nein, Pieter. Wir müssen diese Sprache nicht lernen. Wir müssen sie entlarven. Und sie dann übertönen. In tausend Stimmen, in hundert Sprachen, in einem unnachgiebigen Atem der Lebenden.
Die Vorstellung, dass Beamte, die fünfzig Jahre lang wie kopflose Hühner den Vereinigten Staaten hinterhergelaufen sind — indem sie jedes Kriegsverbrechen, jede Invasion, jedes geheime Bombardement in Afrika, dem Nahen Osten oder Lateinamerika schweigend oder jubelnd billigten — dass dieselben Beamten jetzt plötzlich kollektiv ‚Macht ausstrahlen‘ werden, indem sie es einfach aussprechen, ist ein psychodynamisches Schauspiel allererster Güte. Es erinnert an eine Sekte, in der die Gläubigen auf Befehl des Gurus in den Spiegel rufen müssen, dass sie ‚großartig‘ sind, bis sich das Universum von selbst beugt.
Aber das Universum beugt sich nicht. Der Spiegel zerbricht. Und dahinter: ein graues Bürolandschaft, Neonlicht, eine PowerPoint, in der das Wort ‚Synergie‘ neben ‚hybrider Bedrohung‘ auftaucht. Was man dann sieht, ist keine Macht, sondern Scham — Scham, die sich als Tatkraft verkleidet hat.
David Graeber hat diese Menschen wie kein anderer durchschaut. In seinem berühmten Essay On the Phenomenon of Bullshit Jobs beschrieb er, wie moderne bürokratische Systeme Funktionen schaffen, die nicht nur nutzlos sind, sondern auch moralisch desintegrierend. Menschen, die in solche Positionen geraten — politische Berater, die über Politikberatung beraten — wissen tief im Inneren, dass das, was sie tun, völlig bedeutungslos ist. Und das nagt an ihnen. Es verursacht eine stille Wut, eine innere Verwirrung, die früher oder später kompensiert werden muss.
Enter: ‚die Sprache der Macht‘.
Was wir hier sehen, ist ein klassischer Fall von kompensatorischem Verhalten. Die bürokratischen Subjekte, beraubt jeglicher tatsächlichen Handlungsfähigkeit, versuchen durch die Projektion von ‚Kraft‘ dennoch eine Form von existentiellem Wert zu erzeugen. Sie wollen kein Zahnrad mehr sein, sondern eine Faust. Kein Assistent in einem Raum voller Tabellenkalkulationen, sondern ein General.
Nur: diesen General gibt es nicht. Es ist ein Phantom, das genährt wird von NATO-Präsentationen, von geopolitischen TED-Vorträgen, von dem feuchten Traum eines ‚durchsetzungsfähigen Europas‘, das sich in seinem eigenen Anzug der Bedeutungslosigkeit aufbläht.
Denn was bedeutet Macht für jemanden, der nie etwas aufs Spiel gesetzt hat? Was bedeutet Sicherheit für jemanden, der sein ganzes Berufsleben in einem Beratungsgremium verbracht hat? Was bedeutet Krieg für jemanden, der denkt, dass Krieg etwas ist, das man an Pixel auf einem Drohnenbild auslagern kann?
Diese Menschen träumen von Panzern, weil sie Angst vor Stille haben. Sie brauchen das Wort ‚Macht‘, weil ihre Tage aus Durchstellen, Tagesordnungspunkten und Freitagabendbier bestehen, bei dem niemand lacht.
All dies, diese ganze Sprache der ‚Durchsetzungsfähigkeit‘, ist nichts anderes als eine Bullshitisierung des Lebens. Eine Mythologisierung des eigenen belanglosen Daseins zu etwas mit Grandeur. Anstatt die Wahrheit zu ertragen — nämlich, dass ihre Arbeit keinen wesentlichen Unterschied macht und dass sie durch ein cleveres Skript oder einen desinteressierten Praktikanten ersetzt werden können — klammern sie sich an das Einzige, das noch groß klingt: die Macht.
Aber Macht ist kein Text. Macht ist kein Soundbite. Macht ist keine politische Vision in PDF-Format. Macht ist etwas, das sich in Blut, in Ruß, in geschundenen Städten manifestiert. Macht ist eine Tragödie, keine PowerPoint.
Also wenn diese Menschen sagen, dass wir „die Sprache der Macht lernen müssen“, dann meinen sie eigentlich:
Lass mich kurz so tun, als ob ich eine Rolle spiele.
Aber wir wissen es bereits, Pieter. Du bist kein Caesar. Du bist nicht Churchill. Du bist der mittelmäßige Manager eines Kontinents, der nicht weiß, was er sagen soll und deshalb nur schreit.
Und wer schreit, ohne zuzuhören, ruft nicht zur Macht, sondern zum Wahnsinn auf. Wahnsinn in grauem Anzug. Mit einem Ausweis. Und einem Bullshit-Job.
Martinus Benders, 29-03-2025