Benders – Niederländischer Schriftsteller, Dichter & Philosoph

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Die Suche nach einer neuen Aufklärung: Eine kritische Betrachtung von Jürgen Habermas’ „Auch eine Geschichte der Philosophie“

Posted on Juli 2, 2025 by admin

Die Suche nach einer neuen Aufklärung: Eine kritische Betrachtung von Jürgen Habermas’ „Auch eine Geschichte der Philosophie“

Im Zeitalter verworrener Sinnstrukturen und des postfaktischen Diskurses hat Jürgen Habermas, der letzte große Vertreter der Kritischen Theorie, mit „Auch eine Geschichte der Philosophie“ ein Werk vorgelegt, dessen Anspruch und Umfang seinesgleichen suchen. Erstveröffentlicht im Jahre 2019, gewinnt dieses monumentale Opus im Lichte der gegenwärtigen intellektuellen Erschlaffung wieder an Relevanz. Die Welt, wie sie nun 2024 und darüber hinaus vor uns liegt – von Pandemien erschüttert, von Populismen zernagt, von künstlicher Intelligenz entstellt – schreit förmlich nach epistemischer Erneuerung. In dieser Notlage postuliert Habermas ein neues Verhältnis von Glaube und Wissen, Vernunft und Offenbarung, Säkularität und Moral.

Der Dualband „Auch eine Geschichte der Philosophie“ (2.652 Seiten) versucht nichts Geringeres als eine systematische Genealogie des okzidentalen Denkens von der Achsenzeit bis zur Gegenwart zu rekonstruieren. Habermas unterzieht dabei die europäische Philosophie – insbesondere die „okkzidentale Vernunftfigur“ – einer hermeneutischen Relektüre, die sich ihrem teleologischen Impuls bewusst bleibt, ihn aber zugleich dekonstruiert. Es geht ihm darum, die „postmetaphysische Vernunft“ als Erbin nicht überwundener, sondern sublimierter religiöser Sprachformen zu verstehen – ein Motiv, das wie ein roter Faden das gesamte Werk durchwebt.

Inhaltlich lässt sich das Werk in zwei Hauptstränge gliedern: Zum einen die Darstellung der Geschichte normativer Selbstverständnisse im Dialog zwischen Philosophie und Religion; zum anderen die Entwicklung der kommunikativen Vernunft, die sich aus dieser geschichtlichen Wechselwirkung emanzipieren und universal formulieren möchte. Habermas folgt der These, dass sich ethische Universalität nicht gegen, sondern nur innerhalb der religiösen Gehalte formulieren lässt – und dass die säkulare Moral, wie sie von Kant bis Rawls entwickelt wurde, ein Derivat der jüdisch-christlichen Ethik sei.

Diese Rückzugsbewegung – ein Rückgriff auf die Wurzel, um das Moderne zu retten – bildet den dialektischen Kern seines Anspruchs. Nicht die Entgegensetzung von Glauben und Wissen steht im Zentrum, sondern deren mögliche dialogische Versöhnung unter den Bedingungen einer entgötterten Moderne. In der Konzeption der „postsäkularen Gesellschaft“ verbindet sich Habermas’ Philosophie auf subtile Weise mit der Idee des dritten Weges: ein Versuch, die Rationalität nicht zu kommodifizieren und doch nicht in kulturrelativistischen Stummheiten zu versinken.

Der Schreibstil des Autors ist von jener enervierenden Dichte durchdrungen, die man von der Frankfurter Schule erwartet – eine Mischung aus terminologischer Rigidität, langperiodischer Syntax und einem beinahe barock anmutenden Beleggewitter. Doch liegt in dieser Prosa auch ein paradoxes Licht: Die Klarheit, mit der Habermas die Thematik entschleiert, erwächst gerade aus dem Sträuben seiner Sprache gegen die Lockungen oberflächlicher Verständlichkeit. Er schreibt nicht, um gelesen zu werden, sondern um gelesen werden zu müssen. Die inhaltliche Struktur folgt der genealogischen Methode, die stark von Max Weber und Karl Jaspers beeinflusst ist, jedoch integriert Habermas auch moderne diskurstheoretische Ansätze, insbesondere die Idee einer „theoriepraktischen Verschränkung“ von Lebenswelt und Systemwelt.

In literarischen und akademischen Kreisen Deutschlands hinterließ das Werk sowohl Bewunderung als auch Irritation. So sprach die FAZ von einem „katholischen Kantianismus“, was zweifellos den Versuch beschreibt, Immanuel Kants Moraltheologie mit einem universellen, interreligiösen Diskurs zu versöhnen. Die ZEIT bezeichnete das Werk als „Summa Habermasianica“, ein Ausdruck der Faszination über die hinterlassene geistige Architektur. Kritiker wie Peter Sloterdijk hingegen warfen dem Werk einen „ermüdenden Dogmatismus“ vor, der eine genuine Offenheit für nicht-abendländische Denkfiguren vermissen lasse. Tatsächlich bleibt die asiatische Philosophie – wenn auch gestreift – ein marginales Phänomen in Habermas’ Erzählung der „Vernunft im Westen“¹.

Vergleicht man „Auch eine Geschichte der Philosophie“ mit thematisch verwandten Werken wie Charles Taylors „A Secular Age“ oder Alasdair MacIntyres „Whose Justice? Which Rationality?“, so wird deutlich, dass Habermas‘ Werk sich durch seinen explizit diskurstheoretischen Rahmen von diesen abhebt. Wo Taylor den Säkularismus als einen „möglichen“ Modus des Lebendigseins in pluralistischen Gesellschaften beschreibt, begreift Habermas die postsäkulare Rahmung als eine „normative Verpflichtung zur Übersetzbarkeit religiöser Gehalte“². Auch Schriften wie Jan Assmanns „Kulturelle Erinnerung“ oder Hans Joas’ „Die Macht des Heiligen“ kreisen um ähnliche Fragestellungen, vermögen jedoch nicht die philosophische Tiefe und systematische Stringenz jenes Habermasschen Versuchs der Rationalitätsrekonstruktion zu erreichen.

Die Stärken des Werks liegen fraglos in seiner strukturellen Ambition und interdisziplinären Verwobenheit. Habermas gelingt es, geistesgeschichtliche Entwicklungen, religionssoziologische Befunde und systematische Philosophie in Einklang zu bringen. Er liest Augustinus durch die Brille Kants, Luther durch Hegel, Kierkegaard durch Peirce – ein Möglichkeitsraum, in dem Denktraditionen sich gegenseitig belichten statt ausschließen. Doch offenbaren sich auch dezidierte Schwächen: Die Reduktion islamischer, hinduistischer sowie asiatischer Denkfiguren auf bloße Exo-Ressourcen verhindert eine wirkliche universelle Orientierung, wie sie beansprucht wird. Gerade in einer globalisierten Welt, in der Metaphysik nicht nur aus westlichen Kathedralen, sondern auch aus östlichen Pagoden hallt, scheint dieser Eurozentrismus anachronistisch³.

Ein weiteres Manko offenbart sich in der Unterschätzung ästhetischer Sprachformen. Zwar nimmt Habermas Bezug auf Kunst und Literatur – etwa bei der Analyse Goethes oder Hölderlins als Träger „säkularer Transzendenz“ –, doch scheint er unfähig, der Sprache der Dichtung denselben kognitiven Respekt entgegenzubringen wie theologischen oder philosophischen Diskursen. Die Poetologie bleibt marginal, das Ästhetische instrumentell. Die Wahrheitssuche wird so auf das diskursive in einem zu engen Sinne reduziert – ein Problem, das bereits Adorno kritisierte, dessen negative Dialektik bei Habermas freilich nur als Kontrastfolie dient⁴.

Gleichwohl beeindruckt die argumentative Gravität des Werkes. Habermas schafft es, eine rationale Theologie ohne Theismus zu entwerfen, eine postmetaphysische Moral ohne Nihilismus. In einer Zeit, in der autoritäre Ideologien sich der „objektiven Wahrheit“ bedienen und demokratische Diskurse erodieren, kann seine Philosophie als eine ethische Verteidigung der Öffentlichkeit verstanden werden – als Versuch, rationales Gespräch gegen Lüge, Identitätspolitik und moralische Erpressung verteidigen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: „Auch eine Geschichte der Philosophie“ ist kein Buch zum Lesen, sondern zum Studieren. Seine Tragweite erschließt sich erst im dialogischen Vollzug – in jenem unendlichen Gespräch, von dem Habermas selbst einmal sprach. Die intellektuelle Landschaft der Gegenwart ist geprägt von Fragmentierung, ideologischer Überhitzung und epistemischer Müdigkeit. In diesem Sinne wirkt sein Werk wie ein klärender Regen auf einen verschmutzten Diskurs. Es erinnert uns daran, dass Philosophie nicht Unterhaltung ist, sondern Anstrengung des Begriffs.

Die Nachhaltigkeit von Habermas’ Geschichte der Philosophie wird nicht allein am Umfang oder Gehalt gemessen – sie wird sich daran zeigen, ob das Denken, das sie inspiriert, im Stande ist, den transversalen Dialog zwischen Kulturen, Religionen und Subjektivitäten in den nächsten Dekaden zu tragen. Habermas erinnert uns daran, dass uns die Vernunft nicht geerbt, sondern aufgegeben ist.

By Martijn Benders – Philosophy Dep. of the Moonmoth Monestarium

language, proto-idealism, metaphysics, footnotes, heresy, secularism, morality

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¹ Vgl. Peter Sloterdijk: Nach Gott: Glaubens- und Unglaubensversuche, Suhrkamp 2017.
² Charles Taylor: Ein säkulares Zeitalter, Suhrkamp 2009.
³ Siehe hierzu Amartya Sen: Die Argumentative Tradition in Indien, Reclam 2022.
⁴ Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Suhrkamp 1970.

Category: Deutsche Literatur

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Deutsche Bücher

„Eine Mottenoper auf Deutsch, basierend auf meinem Gedichtband Baah Baaah Krakschaap / Das F der Winterschlaf.“


In diesem Band zeige ich mich von meiner experimentellsten Seite – die Texte bewegen sich zwischen Lautpoesie, absurdem Theater und schlafwandlerischer Symbolik. Die Mottenoper baut darauf auf: ein musikalisch-dichterisches Gewebe aus Flügelschlägen, Traumprotokollen und klanggewordenen Metamorphosen.

Sie ist keine Oper im traditionellen Sinne, sondern ein Zeremoniell des Verpuppens und Entpuppens – das F steht hier nicht nur für „Fabel“ oder „Finsternis“, sondern auch für „Flackern“, „Fantasie“ und „Flucht“.

Gemeinsam mit meinen Kompliz:innen erforsche ich in diesem Werk die Grenzen zwischen Sprache, Klang und Verwandlung – ein Projekt, das sich der linearen Logik entzieht und stattdessen der Logik des Lichts folgt, wie es von Motten geträumt wird.

Ich habe außerdem eine Neue-Welle-/New-Wave-Formation, die Lieder mit deutschen Texten macht: The Stoss. The Stoss besteht aus Martijn Benders, Veronique Hogervorst und Dieter Adam. Unser Debütalbum heißt Höllenhelle Eisenbahn und ist in voller Länge auf Spotify zu hören.

Dieter hat (zusammen mit Martijn Benders) auch ein Soloalbum gemacht, um zu zeigen, dass großartige Poesie und deutsche Musik Hand in Hand gehen können.
Das poetische Glanzstück „Oh Schwulfürst von Schlüpferland“ sorgt derzeit für Furore in der internationalen Musikwelt.

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