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Die Verwandlung des Subjekts: Über Kleins „Trick oder Wahrheit“

Posted on April 20, 2025 by admin

Die Verwandlung des Subjekts: Über Kleins „Trick oder Wahrheit“

Die jüngst veröffentlichte Monographie „Trick oder Wahrheit“ der renommierten Kulturtheoretikerin Katharina Klein – erschienen im Frühjahr 2023 im Suhrkamp Verlag – reiht sich auf faszinierende Weise in die ideengeschichtliche Strömung der postmodernen Dekonstruktion traditioneller Wahrheitssysteme ein. Unter dem Einfluss von Foucault, Judith Butler und, nicht zuletzt, einem Hauch Kantischer Skepsis gegenüber transzendentalen Letztbegründungen, unternimmt Klein den Versuch, sowohl Wahrheitsdiskurse im öffentlichen Raum als auch ihre psychopolitische Dimension im Zeitalter des Digitalen zu sezieren. In dieser kunstvoll komponierten Denkerei betritt der Leser kein Buch, sondern fast ein neuralgisches Herzstück des gegenwärtigen epistemologischen Konflikts zwischen instrumenteller Vernunft und symbolischer Ordnung.

Klein beginnt mit einem Eingangskapitel betitelt „Das Zeitalter der Evidenzvermutung“, in dem sie diagnostiziert, dass wir in einer Ära leben, in der nicht Wahrheit, sondern ihre Simulation – dargeboten als scheinbare Evidenz – das epistemische Primat innehat. Die Gewissheit wird durch visuelle Belege ersetzt, das „gesehen Haben“ sei zum neuen „Verstanden Haben“ mutiert. Ausgehend davon analysiert sie auf rund 350 Seiten die ontogenetischen Ursprünge der Wahrheitsfähigkeit des Subjekts aus kulturtheoretischer Sicht und stellt die These auf, dass „Trick“ und „Wahrheit“ zwei Seiten desselben diskursiven Medaillons seien – komplementäre, nicht gegensätzliche Elemente in einem hermeneutischen Zirkel der Sinnproduktion.

Die Hauptargumente des Buches sind in fünf Kapitel gegliedert, jedes einem anderen Diskursfeld gewidmet: von der Medienlandschaft der Gegenwart über algorithmisch generierte Wahrheiten bis zum performativen Charakter politischer Rhetorik. Besonders hervorzuheben ist Kleins Kapitel „Algorithmus und Aura“, in welchem sie mit erstaunlicher Präzision darlegt, wie maschinelle Lernprozesse nicht lediglich Informationen verarbeiten, sondern zunehmend semantische Räume selbst hervorbringen. Wahrheit sei folglich nicht nur eine philosophische, sondern eine kybernetische Größe geworden – eine These, die im deutschen Diskurs bisher kaum mit solcher analytischen Schärfe vorgetragen wurde.

Vom sprachlichen Gestus her bewegt sich Klein auf der Grenze zwischen akademischer Strenge und essayistischen Freiheiten. Ihr Stil ist geschliffen und metaphernreich, gleichzeitig aber stets der begrifflichen Exaktheit verpflichtet. Anders als viele zeitgenössische Kulturtheoretikerinnen, die sich der akademischen Jargonisierung nahezu willenlos unterwerfen, wahrt Klein ein hohes Maß an Lesbarkeit, ohne an philosophischer Tiefe einzubüßen. Man könnte sagen, ihr Stil ist durchdrungen von einer „Melancholie der Erkenntnis” – ein Diktum, das an die späte Philosophie Adornos erinnert, doch ohne deren pessimistische Starre zu wiederholen.

Strukturell wird der Leser durch eine dialektische Architektur geleitet – These, Antithese, Fallstudie, mythologische Rückführung, kritische Perspektive. Diese kunstvolle Variation des klassischen Dreischritts erinnert unweigerlich an Hegels Phänomenologie des Geistes, auch wenn sie in der Ausführung entschieden weniger teleologisch verfährt. Jede These wird kontextualisiert, dekonstruiert und schließlich in einen höheren Abstraktionsgrad transformiert, wodurch sich ein durchaus spekulativer Horizont eröffnet, ohne ins bloße Fürchten und Staunen der spekulativen Philosophie zu verfallen¹.

Was nun die Rezeption in den literarischen und intellektuellen Kreisen betrifft, so wurde „Trick oder Wahrheit“ rasch zu einem der meistdiskutierten Bücher des Jahres. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ lobte das Werk als „eine notwendige Meditation über die Grenzen unserer epistemischen Utopien“, während die Wochenzeitung „Die Zeit“ kritisch vermerkte, dass Kleins Ansatz gelegentlich in eine „ontologische Unbestimmtheit“ abgleite, die mehr Fragen aufwerfe, als antworte. Tatsächlich entzündete sich im öffentlich-rechtlichen Diskurs – insbesondere in Sendungen wie „Sternstunden der Philosophie“ auf 3sat – eine lebhafte Debatte darüber, ob Kleins Buch eher zur Aufklärung oder zur weiteren Verwirrung eines ohnehin „postfaktisch“ geschwächten Diskursraums beitrage. Die Lager der Rezeption teilten sich entsprechend: Während die einen das Werk als notwendige Intervention begrüßten, warfen ihm andere eine ästhetisierte Beliebigkeit der Wahrheit vor, eine Art „Kitsch der Ambivalenz“².

Im Vergleich zu aktuellen Werken wie Eva von Redeckers „Bleibefreiheit“ oder Byung-Chul Hans „Infokratie“ zeigt sich Kleins Werk als wesentlich tiefgreifender in seinem philosophischen Fundus. Während Han sich vorwiegend auf die Analyse der politischen Kontrolle durch Information beschränkt und von Redecker emanzipatorische Freiheitsnarrative vorschlägt, unternimmt Klein den schwierigeren Versuch, die Bedingung der Möglichkeit von Wahrheit selbst neu zu denken. In diesem Sinne ist ihr Buch weniger ein kulturdiagnostischer Appell als vielmehr – um mit Heidegger zu sprechen – ein Rückgang „in die Lichtung des Seins“, aufgerissen durch das Nebelband unserer epistemologischen Zeitgenossenschaft³.

Doch was sind die Schwächen des Buches? Zu nennen ist vor allem eine bisweilen allzu synkretistische Herangehensweise an disparate Diskursfelder. So vermag die Autorin zwar elegant zwischen antiker Philosophie, digitaler Medienlogik und der Philosophie des Geistes zu oszillieren, doch fehlt es stellenweise an einem nachvollziehbaren methodischen Gestus, der diese Heterogenität erklärt. Ferner bleibt die Rolle des Körpers – zumindest im phänomenologischen Sinne – merkwürdig unterbelichtet. Man fragt sich, wie die Wahrheit als körperlich inkorporierte Erfahrung in ihre Analyse Eingang fände. Die Abwesenheit solcher Fragen erinnert an einen Philosophiebegriff, der Körperlichkeit als nachrangig, womöglich gar als störend gegenüber dem Logos betrachtet – eine Haltung, die man seit Merleau-Ponty als überkommen betrachten darf⁴.

Gleichwohl sind diese Defizite nicht gravierend genug, um das philosophische Potential des Werkes zu schmälern. Eher demonstrieren sie das unausgesprochene Programm des Buches: Wahrheit nicht als abgeschlossene Größe, sondern als offene Struktur zu denken – als performativen Akt, dessen Bedingungen stets neu zu verhandeln sind. In dieser Hinsicht erfüllt „Trick oder Wahrheit“ nicht nur eine erkenntnistheoretische Funktion, sondern auch eine ontologische: Es fragt, wie Wahrheit gemacht wird, und wer dabei ausgeschlossen bleibt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Katharina Klein mit „Trick oder Wahrheit“ ein Werk vorlegt, das nicht nur durch seine formale Gelehrsamkeit, sondern vor allem durch seine intellektuelle Unbequemlichkeit besticht. Es zwingt den Leser, sich dem eigenen Begriff von Wahrheit gleichermaßen zu nähern wie zu entfremden. In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Fiktion, Simulation und Realität zunehmend durchlässig werden, ist Kleins Werk ein notwendiger Stachel im Fleisch der Gegenwart. Es ist nicht immer angenehm, gelegentlich sperrig, oft irritierend – und gerade darum verdient es unseren Nachdruck.

Ob es als „Klassiker“ in das Pantheon deutscher Kulturphilosophie eingehen wird, ist nicht voraussagbar. Doch eines ist sicher: Dieses Buch hat einen Abdruck hinterlassen – im Denken, in der Sprache, im Subjekt.

By Martijn Benders – Philosophy Dep. of the Moonmoth Monestarium

language, proto-idealism, metaphysics, footnotes, heresy, epistemology, postmodernism

—

¹ Vgl. Klein, Katharina: „Trick oder Wahrheit“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2023, S. 89.
² Siehe: Rezension von Sigrid Löffler in „Die Zeit“, April 2023: „Die Wahrheit als Witzfigur?“
³ Heidegger, Martin: „Vom Wesen der Wahrheit“, Klostermann Verlag, Frankfurt 1943.
⁴ Siehe hierzu: Merleau-Ponty, Maurice: „Phänomenologie der Wahrnehmung“, Paris 1945.

Category: Deutsche Literatur

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Deutsche Bücher

„Eine Mottenoper auf Deutsch, basierend auf meinem Gedichtband Baah Baaah Krakschaap / Das F der Winterschlaf.“


In diesem Band zeige ich mich von meiner experimentellsten Seite – die Texte bewegen sich zwischen Lautpoesie, absurdem Theater und schlafwandlerischer Symbolik. Die Mottenoper baut darauf auf: ein musikalisch-dichterisches Gewebe aus Flügelschlägen, Traumprotokollen und klanggewordenen Metamorphosen.

Sie ist keine Oper im traditionellen Sinne, sondern ein Zeremoniell des Verpuppens und Entpuppens – das F steht hier nicht nur für „Fabel“ oder „Finsternis“, sondern auch für „Flackern“, „Fantasie“ und „Flucht“.

Gemeinsam mit meinen Kompliz:innen erforsche ich in diesem Werk die Grenzen zwischen Sprache, Klang und Verwandlung – ein Projekt, das sich der linearen Logik entzieht und stattdessen der Logik des Lichts folgt, wie es von Motten geträumt wird.

Ich habe außerdem eine Neue-Welle-/New-Wave-Formation, die Lieder mit deutschen Texten macht: The Stoss. The Stoss besteht aus Martijn Benders, Veronique Hogervorst und Dieter Adam. Unser Debütalbum heißt Höllenhelle Eisenbahn und ist in voller Länge auf Spotify zu hören.

Dieter hat (zusammen mit Martijn Benders) auch ein Soloalbum gemacht, um zu zeigen, dass großartige Poesie und deutsche Musik Hand in Hand gehen können.
Das poetische Glanzstück „Oh Schwulfürst von Schlüpferland“ sorgt derzeit für Furore in der internationalen Musikwelt.

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