Ich habe den Plan gefasst, mit einer großartigen Anthologie zu kommen, in der ich die besten türkischen Gedichte, die ich finden konnte, übersetzt habe.
Ich habe vorerst genug polemisiert – war eigentlich auch vor, es bei der Piranha zu belassen, dieses Buch drückt bereits ausreichend aus, was meine Meinung über die niederländischsprachige Literaturwelt ist. Es wird gerade ins Italienische übersetzt, ich bin auf Seite 300, also noch 100 zu gehen.
Heute ein Dichter, der mich neben Yucel am meisten berührt hat: Edip Cansever. Von ihm werde ich eine beträchtliche Anzahl von Gedichten in die Anthologie aufnehmen.
Was für ein Tisch war das, sag ich dir
Edip Cansever – Übersetzung: Martinus Benders (überarbeitet)
Der Mann, voller Lebenslust,
legte seine Schlüssel auf den Tisch.
Er stellte Blumen in eine Kupferschale.
Er legte Milch und Eier darauf.
Er legte das Licht darauf, das durchs Fenster fiel.
Das Geräusch eines Fahrrads, das Drehen des Spinnrads.
Die Weichheit von Brot und Luft
legte er auf den Tisch.
Was ihm durch den Kopf ging,
was er mit seinem Leben anfangen wollte –
auch das legte er hin.
Wen er liebte, wen nicht,
auch das kam auf den Tisch.
Drei mal drei ergibt neun –
die Neun legte er auch hin.
Das Fenster war neben ihm, der Himmel ganz nah,
er beugte sich vor und legte die Unendlichkeit auf den Tisch.
Seit Tagen hatte er Lust auf Bier –
er legte das Einschenken des Biers auf den Tisch.
Seinen Schlaf legte er hin, seine Wachheit,
seine Sättigung, seinen Hunger.
Was für ein Tisch das war, sag ich dir.
Er zuckte nicht unter dieser Last.
Ein wenig wackelte er, dann stand er still.
Und der Mann – der legte immer weiter.
✦ Kommentar ✦
Eine glanzvolle, absurdistische Parodie aufs Patriarchat.
Der Mann legt und legt, und der Tisch muss es tragen.
Muss man den türkischen Humor verstehen, um dieses Gedicht zu erfassen?
Wahrscheinlich. Es ist eine ganz eigene Gattung – türkischer Humor.
Ich halte ihn für eine der besten Formen der Welt,
so gut, dass ich das Land dafür verlassen musste.
Und irgendwie ist es auch das perfekte Gedicht über Social Media.
Die Nelke mit Schwerkraft
Edip Cansever – Übersetzung: Martinus Benders (überarbeitet)
Weißt du, du lebst nur Stück für Stück in mir,
obwohl mit dir so viel Schönes möglich wäre.
Zum Beispiel: Wir trinken Rakı –
es ist, als würde eine Nelke in uns fallen.
Neben uns tickt ein Baum, leise, gleichmäßig.
Mein Magen, mein Verstand – schrumpfen zur Faustgröße.
Du neigst dich zur Nelke – ich reiche sie dir.
Und du gibst sie weiter, noch schöner.
Und der andere – der reicht sie weiter,
und so wandert die Nelke von Hand zu Hand.
Siehst du – wir lassen zusammen Liebe wachsen.
Ich berühre dich, wärme mich an dir – doch das ist nicht alles.
Sieh nur: wie sich Weiß aus sieben Farben klärt,
so verschmelzen wir – lautlos.
Meer aus Blicken
Edip Cansever – Übersetzung: Martinus Benders (überarbeitet)
Ich sehe Blicke, den ganzen Tag, tausend Arten von Blicken.
Fensterblicke, Morgenblicke, Blicke von grünem Gras.
Alle finden mich, sanft wie der Regen.
Ich sah die des Wassers – weich, die des Baumes – hart.
Ich sah sie, ja, ich sah sie – aber wie? So viele Augen,
ein echtes Meer aus Augen, lebendig wie sonst was.
Ich sehe Blicke, direkt vor mir, wie die Mitte des Himmels.
Augen in Wolken, in Flugzeugen, in Tiefen –
sie werden plötzlich zu Augen. Diese Augen füllen Betten,
decken Tische zu, lassen Pferde glänzen wie Pferde,
erklären das Zusammenkauern der Schlange, das Träge der Katze.
Da: Schritte von den Längsten, Wirbel von den Weißesten.
Ich sehe Blicke, unaufhörlich – Blick um Blick wird zu Augen.
Augen des Anfangs – kindlich, märchenhaft, filmisch.
Es gab Streichelblicke für meine zögernden Finger,
Augen, die aus Lieben kamen, und Liebe brauchbar machten.
Jazzblicke, Treublicke, Lippen tragende Blicke.
Blicke im Feuer, im Wasser, im Stadtgas.
Aus Feuer, Wasser, Stadtgas waren ihre Augen.
Schneeblicke, kalt – schön. Nebelblicke in Bädern.
Die glühendsten: im Krieg. Die dunkelsten: in den Toten.
Diese Augen sind fort – vorbei.