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Franz Brentano und die Intentionalität des Bewusstseins: Eine vergessene Wurzel der Moderne

Posted on Juni 10, 2025 by admin

Franz Brentano und die Intentionalität des Bewusstseins: Eine vergessene Wurzel der Moderne

Die Geistesgeschichte der Moderne ist reich an Denkern, deren Einflüsse zwar spürbar geblieben sind, deren Namen jedoch im Staub weniger gelesener Lexika versickerten. Einer dieser verlorenen Sonnenkörper des intellektuellen Firmaments ist Franz Brentano (1838–1917), ein katholischer Priester, Aristoteliker und Urvater der phänomenologischen Strömungen, wie sie später in Husserl, Scheler und Heidegger erblühten. In dieser Abhandlung soll dem philosophischen Beitrag Brentanos Gerechtigkeit widerfahren, insbesondere seiner zentralen These der Intentionalität des Bewusstseins – ein Konzept, das die Perspektive der Philosophie für immer verschob, obgleich es heute in trivialisierten Lehrsätzen untergeht.

Brentano wurde 1838 in Marienberg bei Boppard am Rhein geboren und war tief verwurzelt im scholastischen Denken, insbesondere beeinflusst durch Thomas von Aquin und Aristoteles. Nach Studien der Theologie und Philosophie promovierte er über die Vielheit des Seienden in Aristoteles und verfasste im Jahre 1874 sein wohl einflussreichstes Werk „Psychologie vom empirischen Standpunkt“. Dort formte er die These des intentionalen Charakters aller psychischen Phänomene – ein Begriff, der sowohl revolutionär als auch, paradoxerweise, ein Rückgriff auf scholastische Ontologie war.

Die Intentionalität bezeichnet in der Terminologie Brentanos jenen Umstand, dass jedes psychische Phänomen „etwas als Objekt“ habe; dass das Bewusstsein stets auf etwas gerichtet sei, sei es ein real existierendes Ding oder ein bloß vorgestelltes. In Brentanos eigenen Worten: „Jedes psychische Phänomen zeichnet sich dadurch aus, dass es eine immanente Objektbeziehung hat – es ist Bewusstsein *von* etwas.“ Diese Struktur unterscheidet psychische Akte, wie Denken, Wünschen, Lieben oder Hassen, fundamental von physischen Phänomenen, die ihrer Natur nach nicht intentional seien.

Was Brentanos Denken von seinen idealistischen oder materialistischen Zeitgenossen unterscheidet, ist der Versuch, psychische Akte nicht als epiphänomenale Schatten oder metaphysische Ontologien zu behandeln, sondern als empirisch beobachtbare, jedoch kategorial verschiedene Erscheinungen. Damit bewegt sich Brentano in einem Zwischenraum; weder fällt er zurück in einen strengen Cartesianismus noch begeht er den Fehler späterer Behavioristen, den psychischen Innenraum gänzlich zu leugnen. In dieser Zwischenstellung liegt seine eigentliche Originalität – und seine historische Tragik.^1

Der kulturelle und wissenschaftliche Kontext, in dem Brentano wirkte, war einer des Umbruchs. Der Positivismus, mit Comte als Galionsfigur, hatte weite Teile der deutschen und französischen Wissenschaftssphäre durchzogen. Die Idee, dass alles Erkennbare auch Messbar sei, geriet zunehmend in Konflikt mit älteren spekulativen Traditionen. Brentano lehnte die Metaphysik in der scholastischen Gestalt ab, ohne jedoch dem Reduktionismus der Psychophysik zu verfallen. Vielmehr entwarf er ein Projekt der deskriptiven Psychologie: ein Versuch, die inneren Phänomene des Geistes nicht zu messen, sondern präzise zu beschreiben und sie durch ihre intentionalen Strukturen zu klassifizieren.^2

Brentanos Einfluss zeigt sich weniger in einer Schule, die seinen Namen trägt, als in einem Netz philosophischer Bewegungen, die sich seines Denkens bedienen, oft ohne ihn explizit zu zitieren. Edmund Husserl war ein direkter Schüler Brentanos und überführte das Konzept der Intentionalität in die Phänomenologie, wo es zur Grundlage des gesamten phänomenologischen Unternehmens wurde. Ebenso beeinflusste Brentano Alexius Meinong, dem die Unterscheidung zwischen Sein und Gegenstandsbestimmung wesentlich war, sowie Sigmund Freud, der als Mediziner Brentanos Vorlesungen in Wien besuchte.

In der gegenwärtigen Philosophie – insbesondere in der Analytischen Philosophie des Geistes – ist Intentionalität ein zentrales Problemfeld: Wie ist es möglich, dass mentale Repräsentationen auf etwas „außerhalb“ von sich selbst verweisen können? Nur allzu schnell wird diese Frage in neurobiologischer oder semantischer Terminologie aufgelöst, wobei Brentanos zentrale Einsicht, dass Intentionalität eine originäre Struktur des Bewusstseins sei, verkannt wird. Daniel Dennett beispielsweise assimiliert intentionality unter das Konzept der „intentional stance“, wobei der phänomenologische Bestand des Begriffes restlos verschwindet.^3 Der sprachliche Reduktionismus des 20. Jahrhunderts hat Brentano nicht widerlegt, sondern übertönt.

Kritisch wurde Brentano oft für seinen Realismus und seinen Versuch, psychische Phänomene als objektive Inhaltseinheiten zu klassifizieren. Gilbert Ryle und andere Vertreter einer anti-kartesianischen Philosophie des 20. Jahrhunderts sahen in Brentanos Theorie den letzten Ausläufer eines überlebten Subjekt-Objekt-Dualismus. Doch man könnte mit Fug entgegnen, dass Brentano gerade kein substantielles Ich voraussetzte, sondern sich auf einen dynamischen Akt des Bewusstseins konzentrierte – auf das Seinsweisen *von* Bewusstsein, nicht auf ein spekulatives Wesen eines „Seelensubjekts“.^4

Darüber hinaus lässt sich Brentanos Denken als eine zutiefst ethische Philosophie deuten. Seine Ablehnung der spekulativen Metaphysik zugunsten empirischer Methodik ist kein Positivismus, sondern ein Versuch, die Ernsthaftigkeit menschlicher Erfahrung nicht durch nebulöse Metaphysik zu entwerten. In seinen späteren Schriften – etwa in der Ethik – plädiert er für eine objektive Wertlehre, gestützt auf intuitive Einsicht, die in merkwürdiger Vorwegnahme von Schelers Wertaxiologie gedacht ist. In dieser Hinsicht ist Brentano ein Philosoph der Würde menschlichen Denkens in einer zunehmend mechanisierten Welt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Franz Brentano ein Denker ist, der das moderne Verständnis von Bewusstsein und Subjektivität tiefgreifend geprägt hat, ohne in das Pantheon der „großen Namen“ eingebracht worden zu sein. Seine Theorie der Intentionalität öffnet Fragen, die selbst heute noch an der Grenze des Sagbaren entlangschrammen: Was ist es, etwas zu meinen? Wie kann der Geist welthaltig sein? Welche Struktur hat Erfahrung abseits der neuronalen Energieströme?

Es ist diese Fähigkeit, alte Fragestellungen unter neuen Vorzeichen zu entwerfen, die Brentano zu einem Philosophen macht, der nicht nur erinnerungspflichtig, sondern erinnerungswürdig ist. In einer Epoche digitaler Zerstreuung, algorithmischer Modellbildung und moralischer Indifferenz ist seine Ethik der Aufmerksamkeit – die beharrliche Konzentration auf den intentionalen Akt des Denkens – aktueller denn je.

By Martijn Benders – Philosophy Dep. of the Moonmoth Monestarium

language, proto-phenomenology, intentionality, 19th-century philosophy, Brentano, consciousness, metaphysical psychology

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^1 Albertazzi, Liliana. *Immanent Realism: An Introduction to Brentano*. Springer, 2006.
^2 Chrudzimski, Arkadiusz, and Barry Smith. “Brentano’s Ontology: From Conceptualism to Realism.” *Philosophical Studies*, vol. 86, no. 2, 1997, pp. 117–139.
^3 Dennett, Daniel. *The Intentional Stance*. MIT Press, 1987.
^4 Zahavi, Dan. *Subjectivity and Selfhood: Investigating the First-person Perspective*. MIT Press, 2005.

Category: Deutsche Literatur

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Deutsche Bücher

„Eine Mottenoper auf Deutsch, basierend auf meinem Gedichtband Baah Baaah Krakschaap / Das F der Winterschlaf.“


In diesem Band zeige ich mich von meiner experimentellsten Seite – die Texte bewegen sich zwischen Lautpoesie, absurdem Theater und schlafwandlerischer Symbolik. Die Mottenoper baut darauf auf: ein musikalisch-dichterisches Gewebe aus Flügelschlägen, Traumprotokollen und klanggewordenen Metamorphosen.

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Gemeinsam mit meinen Kompliz:innen erforsche ich in diesem Werk die Grenzen zwischen Sprache, Klang und Verwandlung – ein Projekt, das sich der linearen Logik entzieht und stattdessen der Logik des Lichts folgt, wie es von Motten geträumt wird.

Ich habe außerdem eine Neue-Welle-/New-Wave-Formation, die Lieder mit deutschen Texten macht: The Stoss. The Stoss besteht aus Martijn Benders, Veronique Hogervorst und Dieter Adam. Unser Debütalbum heißt Höllenhelle Eisenbahn und ist in voller Länge auf Spotify zu hören.

Dieter hat (zusammen mit Martijn Benders) auch ein Soloalbum gemacht, um zu zeigen, dass großartige Poesie und deutsche Musik Hand in Hand gehen können.
Das poetische Glanzstück „Oh Schwulfürst von Schlüpferland“ sorgt derzeit für Furore in der internationalen Musikwelt.

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