Johann Georg Hamann und die Geburt der Sprache aus dem Geist der Offenbarung
Im Pantheon der Philosophie, wo kantische Systeme und hegelsche Dialektik vornehm thronen, ruht im Halbschatten ein Denker, der in seinem sowohl glühenden als auch kryptischen Stil das Staunen der Philosophie in feurige Wortgewänder kleidete: Johann Georg Hamann (1730–1788). Er, der „Magus im Norden“, war kein Systemphilosoph, kein Konstrukteur rationaler Weltgebäude, sondern vielmehr ein Seher unter Sprachgewaltigen, dessen kryptische Axiome die metaphysische Grundstruktur der Aufklärung untergruben und durch das Prisma göttlicher Offenbarung refraktierten. Nach den Maßstäben des Logos wirkte er wie ein Heretiker, doch aus dem Blickwinkel einer Theologie der Subjektivität erscheint Hamann als der flüsternde Prophet einer Sprachphilosophie, die ihrer Zeit weit voraus war.
Hamanns Leben verlief nicht ohne Exzesse oder Krisen. Geboren in Königsberg, wuchs er im Schatten des preußischen Rationalismus auf, jenem intellektuellen Klima, das Immanuel Kant zur höchsten Blüte trieb. Doch während Kant in der reinen Vernunft die Rettung des Menschen erblickte, war Hamann von der Ohnmacht jener gleichen Vernunft überzeugt. Eine tiefgreifende mystische Erfahrung in London entzündete in ihm das Feuer eines prophetischen Denkens: Er wandte sich vom Projekt einer rationalen Autonomie ab und verkündete die Sprache als göttlich fundierte Offenbarer aller Wahrheit.
Als Sprachdenker avancierte Hamann zu einem Vorläufer moderner Hermeneutik und zu einem der tiefsten Kritiker des Rationalismus der Aufklärung. Seine Hauptwerke – darunter Sokratische Denkwürdigkeiten (1759) und seine eklektischen Briefsammlungen – waren kein philosophisches System, sondern sogenannte „ästhetische Meteoriten“, wie Herder sie später nannte, dichterisch und theologisch aufgeladen, widerständig gegen die Uniformität systematischer Darlegung.
Was nun die Kernidee seines Denkens betrifft, so liegt sie in der fundamentalen Annahme, dass alle menschliche Erkenntnis in der Sprache verwurzelt ist – nicht in einem abstrakten, objektivierenden Logos, sondern in einem lebendigen, geschichtlich gewachsenen Organismus, der durch göttliche Offenbarung überhaupt erst möglich wurde. „Die Sprache ist keine Erfindung des Menschen, sie ist eine Gabe Gottes“, ruft Hamann aus, und mit diesem Postulat steht er quer zum gesamten aufklärerischen Diskurs, insbesondere zu Johann Gottfried Herder, dem er ansonsten durchaus nahestand.
Für Hamann ist Sprache niemals neutral oder kontextlos, sondern stets durchwoben von Leiblichkeit, Geschichte, Kultur, Offenbarung und Symbolismus. Daraus ergibt sich eine radikale Kritik an der Idee einer transzendenten Vernunft, wie sie Kant später im „Kritik der reinen Vernunft“ konzipierte. Vernunft, so argumentiert Hamann, ist nur ein Aspekt des weit umfassenderen Mediums der Sprache, und Sprache wiederum ist nicht das Produkt logischer Deduktion, sondern kreatürlicher Existenz – gefallene, zugleich aber auch erhebt durch das Wort Gottes.
Der historische Kontext seines Denkens ist die Hochphase der europäischen Aufklärung, in der die Autonomie des Subjekts, der Fortschrittsglaube und die Rationalität als alleinige Kriterien der Wahrheit gefeiert wurden. Hamanns Texte schlagen dem Zeitgeist ins Gesicht; sie sind pathetisch, voller Ironie und Provokation. Während Lessing, Kant und Mendelssohn bemüht waren, die Religion mit den Prinzipien des Rationalismus zu versöhnen, plädierte Hamann für die Unversöhnlichkeit beider Pole. Die Offenbarung könne niemals rational erschlossen werden, sie bleibe ein göttlicher Skandalon, ein Kreuz für jede Vernunft.
So liest man seine Kritik an Kants Vernunftprojekt als eine theologisch fundierte Fundamentalkritik: „Die Vernunft ist Wort – Logos – aber nicht im Sinne der Griechen, sondern im Sinne der Evangelisten.“ Der Logos als Christus, als göttliches Licht, nicht als kalkulierbares Prinzip. In Hamanns Augen war es deshalb eine arrogante Hybris, das Wissen jenseits der göttlichen Sprache zu verorten. Dies macht ihn retrospektiv zu einem Ahnherrn sowohl der theologischen Existenzphilosophie Kierkegaards als auch der sprachkritischen Philosophie Wittgensteins.
Hamanns Relevanz für die gegenwärtige Philosophie liegt präzise in dieser Vorwegahnung des „linguistic turn“ – der Wendung zur Sprache als primären Ort der Wirklichkeitsauffassung. Seine Kritik an der Autonomie der Vernunft erklingt heute erneut im Kontext postmetaphysischer Denker wie Derrida, Levinas oder Charles Taylor. Sie alle ringen mit jener Erkenntnis, dass der Mensch nicht bloß ein denkendes, sondern ein bedeutungsherstellendes Wesen ist – ein „Animal symbolicum“, wie Cassirer es nannte, wenngleich Hamann dies wie selbstverständlich bereits hundert Jahre zuvor gewusst hatte.
In neuerer Zeit betont der kanadische Philosoph James C. Edwards die Nähe zwischen Hamann und der postmodernen Kritik an der Rationalitätsfiktion der Moderne: „Hamann is a Jacob among Esaus, clawing at the heel of Enlightenment rationality.”¹ Die Forschung hat begonnen, seine tiefen Einsichten in Bezug auf Sprache, Religion und kulturelle Performativität wiederzuentdecken – nicht zuletzt durch intensive Studien in theologischer Hermeneutik und Rhetorik.
Zweifelsohne bleibt Hamann jedoch ein sperriger Autor. Seine Schriften sind voller Anspielungen, poetischer Brechungen und ironischer Übertreibungen. Er mischt Bibelzitate mit Göttersagen, historische Beispiele mit persönlichen Bekenntnissen. Bischof und Narr sind bei ihm oft eins. Dies hat zu einer gewissen Marginalität seiner Rezeption beigetragen. Kant, sein Zeitgenosse und lebenslanger Briefpartner, bewunderte ihn zwar, hielt aber Distanz zu dessen „Mystizismus“. Ernest Cassirer nannte ihn gar einen „Anarchisten der Aufklärung“, der den Geist der Zeit zu unterwandern suchte.²
Gleichwohl war Hamann ein unentbehrlicher Anstoß für Zeitgenossen wie Herder und Goethe und ein geistiger Vorläufer des Sturm und Drang sowie der Romantik. Friedrich Heinrich Jacobi schrieb, er sei „der erste, der mit Begeisterung die Sinnlichkeit in die Philosophie eingeführt habe.“³ Sogar Martin Heidegger, der selbst an Hamanns Sprachverständnis anschloss, würdigte ihn als „Vergessenen“, dessen Denken „das Sein zur Sprache bringt wie ein flüchtiger Blitz“.⁴
Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass Johann Georg Hamanns Denken von einer Frömmigkeit durchtränkt ist, die die Sprache selbst als theophanes Medium begreift, als Stoff und Ort des Mysteriums gleichermaßen. Fernab rationalistischer Systeme blickt er auf die Welt wie ein alttestamentarischer Prophet, der Himmel und Erde in einem jedes Mal neuen Wort sieht. In einem Zeitalter der technokratischen Klarheit bietet Hamann eine radikale Alternative: die Rückkehr zur symbolischen Tiefe der Sprache und die Anerkennung ihrer göttlichen Stiftung.
So lehrt er uns – modern wie nie – dass Philosophie ohne Poesie, Ratio ohne Mythos, Vernunft ohne Offenbarung eine Wüste bleibt, die weder heilt noch erhebt.
By Martijn Benders – Philosophy Dep. of the Moonmoth Monestarium
language, proto-idealism, metaphysics, Hamann, theology, linguistic turn, heresy
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¹ James C. Edwards: The Plain Sense of Things: The Fate of Religion in an Age of Normal Nihilism, Pennsylvania State University Press, 1997, S. 143.
² Ernst Cassirer: The Philosophy of the Enlightenment, Princeton University Press, 1951, S. 203.
³ F.H. Jacobi: Über die Lehre des Spinoza, zweite Auflage, 1789.
⁴ Martin Heidegger: Unterwegs zur Sprache, Neske Verlag, 1959, S. 77.