Nein, Lodeizen wurde nie von der Königin ausgezeichnet. Er starb bereits mit sechsundzwanzig Jahren an Leukämie.
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Wir werden das Leben
wir werden das Leben
großartig behandeln
so wie wir einen Mörder behandeln
unter uns
ich mag keine Kunst
die im Mund stirbt
des sehr geliebten Dichters
jetzt, wo nijinski tot ist
müssen wir für alle Fenster
Blumen setzen
denn nur so
bleibt die Schönheit lebendig
wir wollen eine Handvoll Kinder
Wein
und einen Spielplatz
kräftig von der Sonne geröstet
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Dieses Gedicht, datiert 20. April 1950, wurde nach dem Tod des Balletthänzers Vaslav Nijinsky geschrieben. Es ist kein politisches Manifest, aber man kann es als indirekte Reflexion über eine Gesellschaft lesen, in der sich Lodeizen eingeengt fühlte – möglicherweise durch die sozialen Normen im Nachkriegs-Holland, wo Homosexualität noch ein Tabu war.
Das Ende ist ziemlich makaber – wenn erwachsene Männer einen Spielplatz voller Kinder wollen, die sie unter Einfluss von Wein ordentlich von der Sonne rösten lassen können, ruft das allerlei Assoziationen hervor, die gut in das zeitliche Bild passen, aber damit hat es sich dann auch.
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Dantons Teekanne
Es war eine zerbrochene Teekanne, dachten wir.
Oder ein Stern, der erst schlief, dann plötzlich erwachte.
So ein wunderbares Ding — dass ich mich nicht einmal erschreckte.
Du sagtest, dass japanische Fische auf Türkisch schwimmen.
Erzähl du nur immer solche sonnigen Lügen,
ich sammle die Scherben ein
Halime von vierzig Jahren ist so eine Taube
die sitzt und wachst — direkt Revolution.
Das ist nicht der erste, nicht der zweite, sondern der vierte Fuß,
jedes Mal, wenn Halime ihn herauszieht, erneuert sich die Welt.
Diese Hand ist in der neuen Schrift geschrieben.
Sie streichelt einen säkularen Fuß.
Die Nachbarn, anständige Häuser, sind gestern bereits in die Berge gezogen. Und wir
kehrten zusammen mit Halime das Vaterland. Von draußen
eine diplomatische Stimme: (Entschuldigung! Entschuldigung! Entschuldigung!
Ihre Feuertreppe steht in Flammen!) Was für ein Lärm!
Jemand kam mit geschlossenen Augen angefahren!
Schön, dachte ich, und schloss das Fenster.
Wir dachten noch, dass die Teekanne einfach zerbrochen war!…
Halime von vierzig Jahren ist so eine Taube
die sitzt und wachst — direkt Revolution.
Can Yücel
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„Kırk yılın Halimesi“ bedeutet wörtlich „Halime von vierzig Jahren,“ aber diese Wendung suggeriert mehr als nur ein Alter. In der türkischen Umgangssprache wird eine solche Formulierung verwendet, um jemanden zu bezeichnen, der vor langer Zeit mit etwas begonnen hat oder in einem bestimmten Bild feststeckt — Halime ist hier sowohl ein weibliches Symbol der Tradition als auch ein ironisches Bild der türkischen Frau, die trotz allem an einer Art stiller Protest oder Veränderung teilnimmt.
In der türkischen Geschichte gibt es auch eine Halime Çavuş, eine Frau, die sich während des Unabhängigkeitskriegs (1920–1923) als Mann verkleidete, um kämpfen zu können — daher trägt “Halime” auch eine patriotische, revolutionäre Ladung mit sich. In diesem Gedicht wird sie jedoch als eine häusliche, alltägliche Frau neu vorgestellt, die mit Wachs wachst — ein triviales, sogar intimes Bild, das plötzlich mit der Großspurigkeit einer „echten Revolution“ aufgeladen wird.
„Bu el yeni abeceyle yazılmış bir el“ = „Diese Hand ist in der neuen Schrift geschrieben“ bezieht sich auf jene Revolution, in der die arabische Schrift durch die lateinische ersetzt wurde — ein Symbol der Modernisierung und des Bruchs mit der osmanischen Vergangenheit.
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Wecker
Plötzlich werde ich in den Schlaf fallen
Nach so viel schläfriger Schlaflosigkeit
Als ob Gänseblümchen vor meinem Balkon blühen
und Katzen darin Kot machen würden.
Dünger…
Ich werde schlafen, nicht um alle schlafen zu lassen
sondern um sie aufzuwecken.
So habe ich immer gelebt.
Um alle aufzuwecken.
Vielleicht war es noch nicht an der Zeit.
Can Yücel
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Die Türkei ist natürlich das Land der Katzen. Das zentrale Paradox des Gedichts ist wunderschön: Der Sprecher will schlafen nicht um sich abzukapseln, sondern um zu wecken. Schlaf wird hier nicht als Eskapismus betrachtet, sondern als aktive Tat, als Vorbereitung auf ein kollektives Erwachen. Auf den ersten Blick erscheint dies wie ein Widerspruch, doch es berührt etwas Tieferes:
„Ich werde schlafen, nicht um alle schlafen zu lassen / sondern um sie aufzuwecken.“
Es erinnert an mystische oder revolutionäre Gestalten, die sich zeitweise zurückziehen (eine Art ‚strategischer Schlaf‘), um dann mit neuer Kraft, Visionen oder Einsicht zurückzukehren.
In diesem Kontext wird Schlaf fast poetisch-militant: keine Flucht, sondern eine Rüstung.
Mit freundlichen Grüßen,
Martinus Benders, 31-03-2025